"Nichts ist fantastischer als die Wirklichkeit"
 
Federico Fellini

FAKE - Trick Me If You Can!             

Sonderprogramm bei DOK Leipzig 2006

"Für mich ist es ziemlich egal, mit welchen Mitteln ein Film arbeitet, ob er ein Schauspielerfilm ist mit inszenierten Bildern oder ein Dokumentarfilm. In einem guten Film geht es um die Wahrheit, nicht um die Wirklichkeit."

Sergej Eisenstein

Eisensteins vielzitierter Sentenz zum Trotz führt die Frage nach den Abgrenzungen zwischen Dokumentar- und Spielfilm bis heute zu hitzigen Diskussionen. Traditionell war es vor allem der Dokumentarfilm, der sich mehr oder weniger vehement von allen inszenatorischen Eingriffen in die vorfilmische Realität distanzierte und die wenigen Dissidenten kritisch beäugte. Das Programm „FAKE – Trick Me If You Can“ versammelt solche Grenzgänger, die sich der Fälschung und Parodie des Dokfilms verschrieben haben. Ein Blick in die Geschichte genügt, um zu sehen, dass sich Fakes damit auf den Schlüsselkonflikt des dokumentarischen Filmemachens konzentrieren: indem sie die Wirklichkeit bewusst fälschen, stellen sie immer wieder die Frage ob und wie Wahrheit abbildbar ist.

Lange wurde diese Debatte um die dokumentarische Ethik vor allem von den Puristen dominiert, die jeden künstlerischen Eingriff in die Wirklichkeit ablehnten. Schon Eisenstein stritt sich mit Vertov um den Königsweg zur „Kino-Prawda“, der Kino-Wahrheit. Der Keim für die scharfe Trennung zwischen Inszenierung und Dokumentation wurde sogar noch früher gelegt. Bereits die Brüder Lumière und der Zauberkünstler George Méliès können als Vorläufer dieser Dualität gesehen werden. Auf der einen Seite das möglichst ungeschminkte Abfilmen des Realen, auf der anderen: Pappnasen, Spiegeltricks und geschickte Täuschungen. Obwohl damals wie heute der absolut „reine“ beobachtende Dokumentarfilm eine Illusion war, blieb er in dieser idealisierten Form lange das Ideal für Dokfilmer, die sich teilweise in ausufernden Methodendiskussionen verstrickten. Sicherlich trugen nicht zuletzt diese Diskussionen zu einem sehr reflektierten Umgang mit dokumentarischen Bildern bei. Gleichzeitig war die rigide Kritik jedoch auch schuld daran, dass einerseits innovative Konzepte immer wieder auf harschen Widerstand stießen und andererseits mancher Dokfilm, der „alles richtig“ machen wollte, am Ende so dröge wurde, dass der Dokumentarist Peter Krieg ihn ungestraft als einziges Schlafmittel, dass man durch die Augen einnehmen kann, bezeichnen konnte.

 

Aus diesem Dilemma befreite sich der Dokumentarfilm, indem er sich in den 80er Jahren subjektive Darstellungsweisen erschloss und formalen und methodischen Experimenten mit mehr Offenheit begegnete. Neben dem Gros der Filme, die sich selbst weiterhin als Dokumentarfilme definierten, entstanden nun auch vermehrt Produktionen, die mit den Mitteln des Erzählkinos spielten und als Hybridfilme zusammen gefasst werden.

Daneben gab es immer wieder mal Filme, die auf den ersten und oft auch den zweiten Blick wie konventionelle Dokumentarfilme wirkten und doch mit der Zeit beim Betrachter Zweifel an ihrer Echtheit aufkommen ließen. Anders als die meisten anderen Hybriden legen Fakes großen Wert darauf, den Zuschauer zumindest für eine Weile im festen Glauben zu lassen, er habe es mit einer dokumentarischen Arbeit zu tun. Sie nutzen die Mittel der Fiktion, um die dokumentarische Form perfekt zu inszenieren. Mit ihren ganz oder teilweise fiktiven Geschichten schlüpfen sie in ein dokumentarisches Gewand und behaupten mit Nachdruck, nichts als die Wahrheit zu zeigen. Dabei parodiert ein gut gemachter Fake nicht nur die dokumentarischen Formen, sondern wirft auch einen ironischen Blick auf seine Themen und Produktionsprozesse. Obwohl sie de facto in großen Teilen vorbereitet, ausgeleuchtet, geprobt und gespielt sind, wirken sie so streckenweise „echter“, als mancher Dokumentarfilm. Doch Fakes geht es nicht um die perfekte Tarnung, ihr Reiz liegt letztlich gerade in der Aufdeckung der Camouflage – sie haben ihr Ziel genau dann erreicht, wenn der Zuschauer beginnt, hinter die Kulissen zu schauen (bzw. die Kulissen als solche wahrzunehmen).

DOK Leipzig widmet diesen Grenzgängern ein Programm, weil sie dem Dokumentarfilm auf unnachahmliche Weise einen Spiegel vor halten: indem sie die dokumentarische Ästhetik und Erzählweise studieren und dann kreativ unterwandern, erlauben sie uns einen humorvollen Blick auf die Stärken und Schwächen des Genres. Und so kann es passieren, dass Sie bei dem einen oder anderen der 20 Filme des Programms plötzlich einen Blick mitten ins Herz des Dokumentarfilms erhaschen.

 

Das Programm:

  1. „History Repeating“ Kurzfilmprogramm

 

SUKI, Miriam Glaser, Germany 2005, DV, col, sound, 15 min

TWO WOMEN AND A MAN, Roee Rosen, ISR 2005, BetaSP, Farbe, 16 min

AMY, Mike Hoolboom, Canada 2003, BetaSP, Farbe & s/w, 16 min

THE FUTURE IS BEHIND YOU, Abigail Child, USA 2005, BetaSP, s/w, 18 min

HUMAN REMAINS, Jay Rosenblatt, USA 1998, BetaSP, Farbe, 30 min

 

  1. „MAN WITH A PLAN“

 

MAN WITH A PLAN, John O'Brian, USA 1996, 35mm, Farbe, 90 min

 

  1. „ABOUT THE MIST IN THE PALM TREES“

 

ABOUT THE MIST IN THE PALM TREES, Carlos Molinero, Spain 2005, 35mm, col&bw, sound, 87 min

 

  1. „THE FIRST ON THE MOON“

 

[DESI'RE:] - THE GOLDSTEIN REELS , Jack Goldstein, Germany 2005, 35mm, col, sound, 4 min

THE FIRST ON THE MOON, Aleksey Fedorchenko, Russia 2005, 35mm, bw, sound, 75 min

 

  1. „Classic Fakes“ Kurzfilmprogramm

 

HEIMARBEIT, Fabian Möhrke, DEU 2003, BetaSP, Farbe, 2 min

RAINER T. EUL - ÖL AUF LEINWAND, Claudia Indenhock, DEU 2001, BetaSP, Farbe, 10 min

DUBOIS, Daniel Vogelmann, DEU 2005, BetaSP, Farbe, 13 min

CHASSEUR, Alexandre Charlet, Switzerland 2005, , col, sound, 17 min

MAN'S NEW BEST FRIEND... A DOGUMENTARY, Jamie Johnson, GB 2006, Mini-DV, Farbe, 21 min

A MAP WITH GAPS, Alice Nelson, UK 2006, Digibeta, col, sound, 26 min

 

  1. „Life is stranger than Fiction“ Kurzfilmprogramm

 

FINOW, Susanne Quester, DEU 2002, 16mm, Farbe, 7 min

THE GIRL CHEWING GUM, John Smith, UK 1976, 16mm, s/w, 12 min

LIVING A BEAUTIFUL LIFE , Corinna Schnitt, Germany/ USA 2003, Mini-DV, Farbe, 13 min

FROM MY WINDOW, Josef Robakowski, Poland 1978-2000, DVD, Farbe, 19 min

KARMA COWBOY, Sonja Heiss, Vanessa van Houten, DEU 2001, 35mm, Farbe, 43 min